Die Macht der Demut

Demut macht unverdächtig, weckt Sympathien. Vor allem aber beraubt sie den Gegnern deren Macht.

Die Demut ist ein enorm unterschätztes Machtmittel. Kaum einer rechnet damit, dass hinter der Offenbarung von Schwäche ein Täuschungsversuch stecken könnte, der die anderen lediglich einlullen soll. Oft dienen gerade öffentliche Selbsterniedrigungen (z.B. von Herrschern) nur dazu, den eigenen Status zu heben und Machtansprüche durchzusetzen. Denn Demut macht unverdächtig, weckt Sympathien – vor allem aber beraubt sie den Gegnern deren Macht: Man tritt nicht den, der am Boden liegt. – Wer sich fügt, führt ganz oft. Nicht nur moralisch.

Der Begriff Demut hat den Beigeschmack des Gestrigen, von Erniedrigung, von Selbstlosigkeit bis zur Selbstverleugnung und steht im schmerzlichen Widerspruch zu einem Zeitgeist, der individuelle Selbstverwirklichung als höchstes Gut preist. Gebraucht man heute das Wort Demut, begegnet man nicht selten Unverständnis oder gar Irritation.

Demut wirkt für nicht Wenige wie ein in Ungnade gefallenes Wort, scheint irgendwie nicht mehr in unsere Zeit zu passen. Das volkstümliche Verständnis der Demut geht gar ein Stück weit in Richtung «Der Demütige ist unterwürfig, kriecherisch, würdelos, ohne Rückgrat, er giert danach, anderen zu gefallen, buhlt um deren Anerkennung». Friedrich Nietzsche brachte es zynisch auf den Punkt: «Der getretene Wurm krümmt sich. So ist es klug. Er verringert damit die Wahrscheinlichkeit von neuem getreten zu werden». Für Nietzsche gehört Demut zu den gefährlichen, verleumderischen Idealen, hinter denen sich Feigheit und Schwäche, daher auch Ergebung in Gott verstecken. Ist Demut – nicht selten verwechselt mit devot – die passive, erduldende Seite der Medaille, so erscheint als aktiver Part die Demütigung. Die öffentliche Beschämung bis an den Rand der Schande, die der Starke dem Schwachen zufügt, oder besser: zufügen kann. Dabei hat die Demütigung, wie wir noch hören werden, mit dem richtig verstandenen Demutsbegriff eigentlich wenig zu tun.

Es gibt dazu ein wunderbares historisches Ereignis und Beispiel aus dem Mittelalter:

Dem Mann ging es um nicht weniger als die Gründung des Bistums Bamberg: Heinrich II. liebte die ostfränkische Stadt seit seiner Kindheit, er machte sie sogar seiner Frau zum Geschenk, als Morgengabe. Seit er im Juli 1002 zum ostfränkischen König gekrönt wurde, plante er allerdings bald, dort ein eigenes Bistum zu errichten – nicht zuletzt, um die noch heidnischen Slawen im Osten seines Reiches endgültig zu christianisieren. Natürlich gab es Widerstände, sogar aus der Kirche selbst und durch den Bischof Heinrich von Würzburg, der dadurch seine eigene Macht bedroht sah. Die Macht des Königs reichte zwar weit, aber soweit nun auch wieder nicht, dass er einfach über Bischöfe hinweg entscheiden konnte. Bei der alles entscheidenden Kirchsynode im Jahr 1007 wandte er deshalb einen Trick an: Er erniedrigte sich. Vor den versammelten Mitgliedern warf sich Heinrich II. flach auf den Boden und verharrte dort, bis ihm der Erzbischof aufhalf, um die Versammlung überhaupt erst eröffnen zu können. Jedes Mal, wenn seine Gegner dann in der Sache gute Argumente ins Spiel brachten, warf er sich erneut zu ihren Füßen und steigerte so die Wirkung seiner eigenen – demütigen – Gründe. Die Rhetorik der Widersacher verpuffte, die Leute sahen nur noch Heinrichs Geste der Selbsterniedrigung. Am Ende bekam er sein Bistum.

Demut ist also keineswegs, wie es Nietzsche suggeriert, die peinliche Übung des Verlierers, sondern die würdige Geste dessen, der weiss, dass die Welt nicht nur um in selbst kreist. Jeder sich bewusst erlebende Mensch sollte als Ergebnis einer geistigen Entwicklung zu der Erkenntnis gelangen, dass wir Menschen nur sehr kleine Rädchen in dem unendlich wunderbaren Räderwerk der Schöpfung sind.

Demut als Antriebsfaktor

Wer sich von Berufs wegen mit Führung, mit Leadership befasst, weiss um die Nachhaltigkeit der drei Dimensionen von Demut: Würde, Freiheit und das freiwillige Sich-Klein-Machen zu Gunsten eines anderen. Hierzu ein passendes Beispiel: Als Nelson Mandela starb liefen anlässlich seines Todes zahlreiche Dokumentationen über sein Leben im Fernsehen.  Verschiedene Menschen wurden interviewt und immer wieder fiel ein Begriff, wenn sie Mandela beschrieben: Demut. Sie haben Mandela als einen demütigen Menschen wahrgenommen. Mandela ist ein klassisches Beispiel für das, was der Management Experte Jim Collins einen „Level 5 Leader“ nennt. Diese höchste Stufe von Führung zeichnet sich nach Collins durch eine Kombination aus, die auf den ersten Blick paradox anmutet: Demut und Entschlossenheit. Die Kombination dieser beiden Attribute machen Manager erst zu einer hervorragenden Führungskraft. Sie begegnen Menschen mit Demut und sind doch tief entschlossen, sich vom Weg Richtung Erfolg nicht abbringen zu lassen.

Jochen Mai, Gründer der Karrierebibel sowie Autor mehrerer Bestseller, beschreibt das wie folgt: Auch wenn wir uns heute nicht mehr auf den Boden werfen müssen, die Demutsgebärde beherrschen Politiker noch immer aus dem Effeff: So erklärte alt Bundeskanzlerin Angela Merkel noch vor ihrem ersten Amtsantritt: «Ich will Deutschland dienen» und demonstrierte damit de facto ihre Macht – nicht weniger als einem ganzen Volk dienen zu können. Wer kann das schon? Auch Karl-Theodor zu Guttenberg entschuldigte sich «in Demut» nach seiner Plagiatsaffäre. Soweit die Ausführungen von Jochen Mai.

Demut ist vielleicht keine zwingende Voraussetzung aber eine für die aus der Zeit der Aufklärung stammende Devise von «Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit» massgeblich fördernde Tugend. Sie wurde während der französischen Revolution zum ersten Mal beschworen. Sie ist in der Verfassung von 1958 verankert und gehört heutzutage zum französischen nationalen Kulturgut.

Birger Menke, seit September 2023 Leiter Redaktionelle Organisation des Spiegel, erwähnt dazu in seinem Artikel «Wiederkehr der Demut – Ergebt euch!» folgende Beispiele:

Alexander Dibelius, ex Manager der Investmentbank Goldman Sachs, rief seine Branche zu «kollektiver Demut» auf. Medienmogul Rupert Murdoch sagte, als er vor dem britischen Unterhaus zu den menschenverachtenden Abhörmethoden seiner „News of the World“ Stellung nehmen musste, es handle sich für ihn um den Tag «grösster Demut» und FDP-Chef Christian Lindner empfahl seiner Partei nach einer Wahlschlappe in Berlin und dem Nicht-Wiedereinzug ins Parlament vor einigen Jahren, das Ergebnis «in Demut aufzunehmen».

Es gibt unzählige weitere Geschichten dazu, eines zeigen sie alle: Demut mag verstaubt sein, an Wirkung hat sie nicht verloren. Manager und Politiker bedienen sich ihrer, setzen sie ein, als würde das Wort allein ausreichen, um die erwähnten Scheinwerfer zu dimmen, die auf sie und ihre Misere gerichtet sind. Doch Demut ist mehr als ein verbales Spezialeinsatzkommando.

Beispiel Matthias Sammer: Als ex Sportvorstand beim FC Bayern München legte er großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung der Jungprofis. Sie sollen demütig sein, trotz des Geldes, trotz des Ruhms, trotz der Branche. Es ist dieser Trotz, den die Demut interessant macht in einer Zeit, da Protest alltäglich wird. Was die Empörten von den Machthabern verlangen, ist Demut: vor der Verantwortung, die ihnen qua Amt oder Posten übertragen wurde. Und es scheint durch aktuelle Ereignisse Fuss zu fassen in den Köpfen der Verantwortlichen.

Originalton Matthias Müller (von September 2015 bis April 2018 Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, Vorstandsmitglied der Porsche-Holding sowie Aufsichtsratsvorsitzender bei Audi) nach dem Diesel-Abgas-Manipulations-Skandal: «Etwas mehr Demut steht uns gut an». Nach der Niederlage kommt die Demut. Mit diesen Ausführungen von Birger Menke kommen wir zum Schlusswort:

Wie auch immer die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung der Tugend Demut positiv in die Hände spielt: Sie kann nicht von aussen verordnet werden, wie man auch niemanden zwingen kann ein guter Mensch zu sein.

Ansgar Schäfer

Quellenhinweise, Literatur

Wiederkehr der Demut: Ergebt euch! – Birger Menke SPIEGEL ONLINE PANORAMA karrierebibel.de – Jochen Mai Jim Collins – „Level 5 Leader“
Mit Demut leiten – Lernen von Nelson Mandela, Dr. Malte Detje
Bildnachweis ©Gregory Colbert

2 Gedanken zu „Die Macht der Demut

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