Alarmismus. Eine medial geprägte Scheinrealität.

Alarmismus -FotoliaAlarmismus: Die  übertriebene Darstellung oder Warnung mit dramatischer Aufbereitung von vermeintlichen Risiken aber wenig belegtem Gefahrenpotential.  Alarmismus übt leider einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf unser Denken, auf unser Handeln und auf die Stimmung unserer Gesellschaft aus!

Alarmismus basiert nicht zuletzt auf den sich radikal veränderten Bedingungen in der medialen Welt. Die Konkurrenz ist erdrückend. Wer am Kiosk steht, weiss was ich meine. Die Regale biegen sich unter den Zeitschriftenbergen und statt fünf Fernsehprogrammen haben wir deren 150 oder je nach Abo deren 250. Schlechte Zeiten also für Redakteure, denen die Mittel und die Seiten gekürzt werden. Wie sich der journalistische Alltag bei seinen Kollegen und Kolleginnen gestaltet beschreibt der in Berlin lebende Schweizer Journalist Frank A. Meier1 wie folgt: «Ich sehe Sie gebannt am Laptop sitzen. Sie rufen ab, was andere schon geschrieben haben. Sie zeichnen Portraits aus biographischen Versatzstücken und Gerüchten, wie sie im Internet in Unzahl vorzufinden sind. So werden im journalistischen Alltag Vorurteile, Falschurteile, Unwahrheiten und Unterstellungen im System nicht nur konserviert, sondern auch regelmässig neu aufbereitet und dies in immer rascherer Abfolge. Mehr und mehr lebt unser Berufsstand von Copy-&-Paste. Am Bildschirm lässt es sich sehr bequem über Menschen journalistisch zu Gericht sitzen. Man begegnet den Opfern nur selten».

Der «Angstlust»-Effekt

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zu leben. Damit meine ich weniger meine Firma (eine GmbH…), als vielmehr die scheinbar wachsende Anzahl von Zeitgenossen, die nur eine beschränkte Haftung für ihr Geschwätz übernehmen.

Eine Weltuntergangsstimmung durch scharfe Analysen ins allgemeine Bewusstsein zu heben und sie gleichzeitig auch noch zu geniessen gehört zu den Lieblingsbeschäftigungen des Menschen von heute. Der Alltag mit seinen tristen Problemen ist langweilig. Aber die bevorstehenden Katastrophen sind hoch interessant! So beschreibt der Publizist Friedrich Sieburg bereits 1957 den «Angstlust»-Effekt. Und er führt weiter aus: Niemand soll uns um unsere Krise bringen! Wir haben ein Recht auf Sie. Aber dass mir niemand zum jüngsten Gericht zu spät kommt!

Issue Attention Cycle

Alarmismus ist kulturgeschichtlich nichts Neues – hysterische Angstepidemien begleiten die Menschheitsgeschichte. Neu hingegen ist, dass sich mit der Ausbreitung elektronischer Massenmedien der Issue Attention Cycle immer stärker zu beschleunigen scheint. Der Zyklus, der die Dauer und die Intensität bzw. das Auf und Ab von Themenkonjunkturen (Downs 1972) bestimmt. Also ein konkreter Verlauf der Aufmerksamkeit für Themen (Issues) respektive Schreckensnachrichten in der Öffentlichkeit. Man könnte auch sagen: Wenn die Themengewichtung in der öffentlichen Meinung in einer Diskrepanz zu den Problemen steht. Recherche-Journalismus und mediale Hetzjagd fliesen ineinander über. Die Dosis des Schreckens wird erhöht. Die grossen Alarme unserer Zeit.

Das bleibt nicht ohne Folgen. Man begegnet täglich Menschen, deren Weltbild, deren Meinung über unsere Gesellschaft und über die Zukunft unserer Erde einem Horrorszenario gleichen. Den Leuten ist selbst mit Fakten nicht beizukommen. Und wachsende Gleichgültigkeit ist ein unangenehmer Nebeneffekt.

Konkret: Was passiert, wenn wir die Zeitung aufschlagen, das TV-Gerät anstellen oder via App auf dem Handy die News überfliegen? Ist das die Realität? Die Wirklichkeit? Niemand würde das behaupten. Erstaunlicherweise wird es gleichwohl unkritisch übernommen. Wir begeben uns in einen von Menschen konstruierten Sinnkontext. Man präsentiert uns eine Realitätsmatrix, die von Menschen produziert wird, die unter Wettbewerbs-, Sensations- und Quotendruck Schlagzeilen am Fliessband produzieren. Eine Rückkoppelung auf uns und unser Verhalten ist nur schwer zu vermeiden.

Selffulfilling Profecy

Trendforscher Mattias Horx bringt es auf den Punkt: Wenn wir an einen negativen Sachverhalt glauben, dann agieren wir auch so, dass dieser wieder und wieder bestätigt wird. Bekannt als Selffulfilling Profecy. Katastrophenfilme profitieren nicht zuletzt deshalb durch ungeheuren Zulauf. Dünger für das Biotop des unkritischen Bürgers in seiner Welt der Verschwörungen: Früher war alles besser, es wird übel enden, die Politiker sind Schuld, alle haben sich gegen ihn verschworen: Nachbarn, Ausländer, Kapitalisten, Banker, Kommunisten. Der unkritische Bürger glaubt nicht an Fortschritt. «Ich bin doch nicht blöd». Neugier ist ihm fremd. Er weiss ja schon alles! Er hat’s im Fernsehen gesehen! Er hat die Welt durchschaut in ihrem hinterhältigen Plan, den «kleinen Mann» zu erniedrigen, auszusaugen, fertigzumachen. Eine moralisierende Angstlobby – so wettert Matthias Horz – verhindere echten Wandel und halte die Gesellschaft nieder. Horx:

„Alarmismus ist der Nährboden des Populismus, der eigentlichen politischen Gefahr des 21. Jahrhunderts; Alarmismus macht manche politischen Zukunftsdebatten praktisch unmöglich.“ 2

«Die Menschen werden heute von apokalyptischen Vorstellungen geplagt», stellt Matthias Horx fest. Die Schuld sieht er in der «Angst- und Erregungskultur, dieser Dauerempörung und populistischen Hysterisierungsspirale in den Medien». Dabei herrsche heute mehr Frieden als je zuvor. Wir erleben den grössten Wirtschaftsboom aller Zeiten. Selbst in Afrika sei die Lebenserwartung gestiegen.3

Keine emotionale Bindung an das eigene Unternehmen

Alarmismus schlägt sich auch im Arbeitsalltag nieder. Sind wir eine Gesellschaft der unzufriedenen Arbeitnehmer? Umfragen in unserem nördlichenNachbarland bringen es regelmäßig auf den Tisch: Derzeit setzten sich gerade noch 11 Prozent der Beschäftigten voll und ganz für ihr Unternehmen ein. Die restlichen 89 Prozent haben nur eine geringe oder gar keine emotionale Bindung an das eigene Unternehmen. Mit anderen Worten: Die Ergebnisse der eigenen Arbeit und der des restlichen Teams sind den meisten Arbeitnehmern so ziemlich bis völlig egal. Was das für katastrophale Folgen für die Volkswirtschaft bedeutet kann man nur erahnen.

Die Welt wird nicht schlechter. Sie wird nur schlecht geredet.

Es ist eine schier unlösbare Aufgabe Pessimisten, Auguren der Apokalypse, Lobbyisten des Alarmismus, Verschwörungstheoretikern und den Miesmachern unserer Gesellschaft bei denen es immer fünf vor zwölf ist, mit entsprechender Nachsicht zu begegnen. Im privaten und geschäftlichen Umfeld  trete ich – wenn immer möglich – klar für Zukunftsoptimismus ein, scheue keine Auseinandersetzung und stehe zu dieser unserer Gesellschaft, der es so gut geht wie selten zuvor. Klar gibts jede Menge Raum für Verbesserungen. Keine Frage. –  Mathias Horz hat jedoch völlig recht, wenn er sagt: Die Welt wird nicht schlechter. Sie wird nur schlecht geredet.

Ansgar Schäfer www.schaeferpartner.ch

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Matthias Horx (59) Foto: Hamburg dpa (schwäbische.de)

1Frank A. Meier, «Vierte Gewalt Medien. Das Selbstverständnis der Medien hat sich in Deutschland grundlegend gewandelt», in think-tank (Berlinpolis) H. 2/2006.

2Trendforscher Horx rechnet ab mit Angstszenarien – schwäbische.de – Hamburg dpa – 14.05.2007

3Margrit Sprecher ist freie Journalistin; sie lebt in Zürich: «Verkaufte Zukunft» NZZ Folio 2017

Quellenhinweise/Literatur:

• Matthias Horx: Das Buch des Wandels, Anleitung zum Zukunftsoptimismus sowie Das Megatrend Prinzip/Wie die Welt von morgen entsteht • Mededith Haaf – heult dochÜber eine Generation und ihre Luxusprobleme – 2011 – Piper München Zürich
•  Peter Gross – Die Multioptionsgesellschaft – 1994 – edition surhrkamp SV (vergriffen)

4 Gedanken zu „Alarmismus. Eine medial geprägte Scheinrealität.

  1. …Merci für den Artikel.

    Alarmismus scheint wirklich ein – ansteckender (!?) Trend zu sein. Don’t follow this one and keep your glass 1/2-full instead of 1/2-empty.

  2. Toller, sehr wertvoller Beitrag, Ansgar.
    „Alarmismus“ trifft das sehr gut. Wie bei so vielen Phänomenen sind sich Betroffene selbst nicht der wahren Auswirkung und eigenen Betroffenheit bewusst. Dieses klamme Angstgefühl wird so schleichend manifestiert, dass es in jedem einzelnen Moment erst mal nicht ins Gewicht fällt, doch dann in Summe. Nach dem Motto ‚Kleinvieh macht eben auch Mist‘.
    Teile und verbreite ich gerne 🙂
    Positive Grüße in die Schweiz,
    und viel Spaß mit vielen vollen Flaschen,
    Nicole

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