Friedrich Merz und das Phänomen des digitalen Bashing

Eine nüchterne Einordnung aus Distanz

Ich schreibe diese Analyse nicht als politischer Akteur, nicht als Parteigänger und nicht aus deutschem Binnengefühl heraus. Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, war beruflich weltweit tätig und lebe seit vielen Jahrzehnten als Schweizer Bürger in einem Land, in dem politische Diskussionen oft mit mehr Distanz geführt werden.

Gerade diese Außenperspektive macht es möglich, Entwicklungen zu sehen, die im eigenen Land oft untergehen. Natürlich birgt das das Risiko, dass man mir vorwerfen könnte, mich aus „innerdeutschen Angelegenheiten“ heraushalten zu sollen. Doch politische Kultur ist immer ein Spiegel der Gesellschaft — und gerade deshalb lohnt sich manchmal der Blick von außen, jenseits der Innenhitze.

Und aus dieser Perspektive lässt sich klar sagen: Das Bashing, das Friedrich Merz aktuell erlebt, hat weit weniger mit seiner Person zu tun, als viele glauben.

1. Die erstaunliche Wucht der Kritik

Besonders auf LinkedIn, einer Plattform, die sich selbst gerne als sachlich, professionell und dialogbereit versteht, ist eine Art „Merz-Reflex“ entstanden: Es gibt Kritik, die legitim ist — aber daneben eben Kritik, die übersteuert, persönlich, emotionalisiert oder schlicht verzerrt wirkt.

Ja, Kritik gehört zur Demokratie. Aber die Intensität und Dauerfeuermentalität vieler Kommentare lässt etwas anderes vermuten: Nicht Merz ist der Auslöser, sondern die Stimmung.

Und diese Stimmung ist geprägt von Unsicherheit, Überforderung und einem Gefühl, dass vieles gleichzeitig entgleitet.

2. Sozialneid ist ein Faktor — aber nur ein Mosaikstein

Friedrich Merz verkörpert Eigenschaften, die in Deutschland widersprüchliche Reaktionen hervorrufen:

  • wirtschaftlich unabhängig
  • international erfolgreich
  • rhetorisch stark
  • sprachlich brillant
  • souverän auf der weltpolitischen Bühne
  • und kein Berufspolitiker im klassischen Sinne

Das weckt bei manchen Bewunderung — bei anderen Abwehr.

Nicht weil er etwas falsch macht, sondern weil Erfolg in Deutschland gelegentlich misstrauisch betrachtet wird.

Das hat kulturelle Wurzeln.

Doch es erklärt nur einen Teil des Phänomens.

3. Die historische Lage könnte ungünstiger nicht sein

Jeder nüchterne Analyst muss zugeben:

Merz übernimmt in einer Epoche, die historisch extrem anspruchsvoll ist:

  • Krieg in Europa
  • Energiekrise
  • US-Zölle und ein innenpolitisch instabiler amerikanischer Partner
  • China, das die deutsche Automobilindustrie frontal herausfordert
  • Demografie, Rentensystem, Fachkräftemangel
  • Investitionsstau
  • digitale Rückständigkeit
  • Vertrauensverlust in Exekutive und Legislative

Das ist kein gutes Wetter — das ist ein Orkan.

Und ein Kanzler kann in so einer Lage keine Wunder erzeugen.

Denn: Wer keine Kaninchen hat, kann auch keines aus dem Hut zaubern.

Eine bittere, aber realistische Wahrheit.

Bild: Germany’s Chancellor Friedrich Merz (L) speaks with US President Donald Trump before the start of the North Atlantic Council plenary meeting at the North Atlantic Treaty Organisation (NATO) summit in The Hague on June 25, 2025. (Photo by Ludovic MARIN / POOL / AFP) via Getty Images)

4. Die zwei „Entgleisungen“, die keine waren — aber so behandelt wurden

a) „Das Stadtbild hat gelitten“

Merz sprach über bestimmte deutsche Bahnhöfe — und er hat, bei aller politischen Korrektheit, nicht Unrecht. Jeder, der durch manche Innenstädte oder Verkehrsknotenpunkte reist, weiß, dass dort Überforderung sichtbar ist: in Infrastruktur, sozialer Belastung und in Raumgestaltung.

Was war die Reaktion?

Man tat so, als hätte er Deutschland als Ganzes beleidigt.

b) Die Brasilien-Äußerung

Auch hier: leicht undiplomatisch, ja.

Aber die mediale Wiedergabe war teilweise entkontextualisiert — herausgelöst aus der Gesamtpassage, die deutlich differenzierter war.

Das Muster ist bekannt: Ein kleiner Satz wird groß gemacht, weil es gut klickt, gut polarisiert und gut performt.

Beide Aussagen kann man kritisieren — aber fair.

Was Merz bekam, war selten fair.

5. Das alte Medienbild: Merz als „der kalte Konzernmann“

Dieses Narrativ existiert seit Jahrzehnten.

Und wie alle alten Bilder wird es recycelt, sobald die Gelegenheit günstig ist.

Merz wird häufig nicht für das kritisiert, was er heute tut, sondern für das Bild, das manche seit den 2000ern im Kopf tragen.

Diese Verzerrung ist nicht persönlich gegen ihn gerichtet — sie ist ein Produkt von Medienlogik.

6. Die Realität: Merz ist einer der international kompetentesten Kanzler Europas

Ganz unabhängig von politischer Sympathie:

  • Merz hat mehr internationale Managementerfahrung als seine Vorgänger
  • sein Englisch ist auf globalem Parkett herausragend
  • sein Auftritt am MIT mit Standing Ovations war nicht Glück, sondern Können
  • er spricht Französisch
  • er versteht Märkte und Diplomatie gleichermaßen
  • er kann in Washington, Paris, Brüssel und Davos gleichermaßen bestehen

Das ist kein Parteikompliment, sondern eine Faktenbeschreibung.

📋 Ein Blick ins Merz’sche Portfolio

Friedrich Merz war nach seinem temporären Abschied aus der Politik nicht etwa Flurflüsterer oder Türklopfer – sondern Top-Level-Entscheider. Hier ein kleiner Auszug aus seinem beachtlichen Wirtschafts-Werdegang:

  • Vorsitzender des Aufsichtsrats von BlackRock Deutschland
  • Aufsichtsrat der Deutschen Börse AG
  • Beirat der AXA Konzern AG
  • Mitglied im Aufsichtsrat von BASF, WEPA-Gruppe, HSBC Trinkaus & Burkhardt
  • Mehrere Jahre Verwaltungsrat und Aktionär bei Stadler Rail (Schweiz)

Das sind keine Nebenjobs – das ist Wirtschaft in Reinform, mit Verantwortung für Milliarden und mit einer Perspektive, die man sich nicht mit Vitamin B, sondern mit strategischem Denken und politischem Instinkt erarbeitet.

Diese Stationen stehen für einen Leistungsausweis, den kaum ein anderer Regierungschef in Europa vorweisen kann: internationale Verhandlungsstärke, ein tiefes Verständnis globaler Märkte, finanzielle Unabhängigkeit, wirtschaftliche Expertise und eine Vertrautheit mit Entscheidungsprozessen auf höchster Ebene. All das sind Kompetenzen, die im politischen Alltag selten vorkommen – und noch seltener in dieser Dichte.


🧩 Eine zersplitterte Parteienlandschaft – und ein Regierungsstart im Sturm

Zu diesen persönlichen Voraussetzungen kommt ein Start, der kaum schwieriger hätte sein können. Merz übernahm in einer politischen Situation, die selbst erfahrene Verfassungshistoriker als „zersplittert, instabil und historisch ungewöhnlich“ beschreiben.

Deutschland befindet sich aktuell in einer Phase, in der:

  • klassische Volksparteien ihre Bindekraft verlieren
  • neue Bewegungen den Diskurs fragmentieren
  • Koalitionen aus arithmetischem Zwang entstehen
  • Mehrheiten nicht mehr selbstverständlich, sondern Glückssache sind
  • parlamentarische Entscheidungen oft weniger von Sachlogik als von parteitaktischen Mikroallianzen abhängen

Unter solchen Bedingungen ist es schwierig, Reformen durchzusetzen, selbst wenn sie dringend wären und selbst wenn die Regierungsspitze kompetent besetzt ist.

In diese politische Geometrie hinein Kanzler zu werden, ist kein Startvorteil – es ist ein strukturelles Handicap, das jeder rationalen Beurteilung vorangestellt werden müsste.

7. Fazit: Das Merz-Bashing sagt weniger über Merz aus — und mehr über die Zeit

Kritik ist wichtig.

Aber die Intensität, mit der Merz attackiert wird, hat tieferliegende Ursachen:

  • gesellschaftliche Erschöpfung
  • wirtschaftliche Angst
  • digitale Aufmerksamkeitsmechanik
  • politische Lagerlogik
  • eine tief sitzende Erwartungsillusion
  • und ein Land, das mit sich selbst ringt

Merz ist nicht das Problem.

Er ist der Spiegel.

Und Spiegel gefallen uns selten, wenn die Zeiten schwierig sind.

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